
Ab Dezember: ChatGPT erhält einen Erotik-Modus – aber ist unsere Gesellschaft bereit dafür?
- Geert van Diessen
- vor 5 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Photo: Ofotoray
Eine kritische Analyse der neuen „Erwachsenen-Version“ von KI und der Risiken für Kinder, Bilder und Realität.
Eine technologische Grenze verschiebt sich
OpenAI hat angekündigt, ab Dezember 2025 eine Funktion in ChatGPT einzuführen, die es verifizierten erwachsenen Nutzern erlaubt, erotische Inhalte zu generieren.
CEO Sam Altman erklärte dazu:
> „Im Dezember, wenn wir die Altersverifikation vollständig einführen, werden wir noch mehr erlauben – etwa Erotika für verifizierte Erwachsene.“
(Ars Technica, 2025)
Damit verlässt OpenAI sein bisheriges Prinzip, keinerlei sexuelle oder explizite Inhalte zuzulassen. Es ist eine kulturelle Zäsur – die Verbindung zwischen Mensch und Algorithmus tritt in eine neue Phase ein.
Die Normalisierung von KI-Erotik
Dass ChatGPT künftig erotische Dialoge oder Szenarien anbieten darf, scheint zunächst wie ein Fortschritt der individuellen Freiheit.
Doch Forschungen zeigen, dass solche Systeme oft sexistische und sexualisierte Verzerrungen reproduzieren – selbst dann, wenn keine erotischen Daten in den Trainingssätzen enthalten waren.
Eine Studie belegt, dass Bild-Sprach-Modelle auf Internetdaten trainiert werden, die bereits sexualisierte und geschlechtsspezifische Stereotype enthalten:
„Contrastive Language-Vision AI Models Pretrained on Web-Scraped Multimodal Data Exhibit Sexual Objectification Bias.“(arXiv, 2022)
Das bedeutet: Wenn ein KI-System Erotik erzeugt, spiegelt es nicht „neutrale“ Fantasien wider, sondern gesellschaftliche Vorurteile – über Körper, Geschlecht und Macht.
Auch technische Filter sind keine Garantie. Die Studie „SafeGen: Mitigating Sexually Explicit Content Generation in Text-to-Image Models“ zeigt, dass selbst gut abgesicherte Modelle mit kleinen Trick-Prompts umgangen werden können.
(arXiv, 2024)
Die Forscherinnen und Forscher warnen, dass solche „Adversarial Prompts“ es ermöglichen, Sicherheitsmechanismen leicht zu umgehen.
Kinder, Verletzlichkeit und Altersverifikation
OpenAI betont, dass die Erotik-Funktion nur für verifizierte Erwachsene verfügbar sein wird.
Doch in der Praxis ist Altersverifikation im Internet unsicher und leicht zu umgehen. Jugendliche könnten also Zugang erhalten – besonders, wenn ChatGPT weiterhin als Lern- oder Unterstützungsplattform genutzt wird.
Die Policy-Studie „Addressing AI-Generated Child Sexual Abuse Material: Opportunities for Educational Policy“ des Stanford HAI warnt, dass selbst synthetische, also KI-erzeugte, Darstellungen von sexuellem Missbrauch reale psychologische Schäden verursachen können.
(Stanford HAI, 2025)
Eine weitere technische Untersuchung beschreibt die mangelnde Governance bei sogenannten „Non-Consensual Intimate Images“ – also KI-Bildern, die ohne Zustimmung erstellt werden:
> „The Malicious Technical Ecosystem: Exposing Limitations in Technical Governance of AI-Generated Non-Consensual Intimate Images of Adults.“ (arXiv, 2025)
Die Autor:innen zeigen, dass die technische Kontrolle über solche Inhalte schwach bleibt und Missbrauchssysteme entstehen können, bevor Gesetzgebung oder Plattformpolitik reagieren.
Bilder, Deepfakes und das Ende der Eindeutigkeit
Besonders heikel ist die Erzeugung visueller Inhalte.
Auch wenn OpenAI betont, dass das Bildmodell DALL·E keine expliziten Darstellungen erzeugt, existieren zahlreiche offene Modelle ohne diese Filter. Damit können Nutzer realistische Nacktbilder oder sexuelle Szenen generieren – mit echten oder fiktiven Personen.
Deepfake-Technologien ermöglichen es außerdem, Gesichter realer Menschen in pornografische Szenen einzusetzen, ohne deren Zustimmung.
Solche synthetischen Bilder können Rufschädigung, Erpressung und psychische Belastung verursachen.
Die Grenze zwischen Realität und Simulation löst sich auf – und mit ihr die Fähigkeit, Wahrheit eindeutig zu erkennen.
Fazit: Technologie voraus, Ethik hinterher
Die Einführung des Erotik-Modus von ChatGPT im Dezember 2025 ist kein bloßes Software-Update, sondern ein Wendepunkt.
Sie zeigt, wie weit KI heute in menschliche Intimsphären eindringt – und wie wenig vorbereitet unsere Gesellschaft darauf ist.
Die Fachliteratur weist auf ein klares Muster hin:
Die technologische Fähigkeit, erotische Inhalte zu erzeugen, wächst schneller als die ethische oder rechtliche Kontrolle.
Jugendschutz, Altersverifikation und Missbrauchsprävention hinken der Innovation hinterher.
Das Risiko, dass KI-Erotik normalisiert wird oder mit realen Personen vermischt, ist erheblich.
Intimität von Algorithmen erzeugt werden, steht mehr auf dem Spiel als nur Jugendschutz.
Es geht um das Verständnis von Wahrheit, Verantwortung – und um die Frage, was Menschsein in der digitalen Zukunft bedeutet.
Quellen:
Ars Technica (2025): „ChatGPT will soon allow erotic chats for verified adults only.“
arXiv (2022): „Contrastive Language-Vision AI Models Pretrained on Web-Scraped Multimodal Data Exhibit Sexual Objectification Bias.“
arXiv (2024): „SafeGen: Mitigating Sexually Explicit Content Generation in Text-to-Image Models.“
Stanford HAI (2025): „Addressing AI-Generated Child Sexual Abuse Material: Opportunities for Educational Policy.“
arXiv (2025): „The Malicious Technical Ecosystem: Exposing Limitations in Technical Governance of AI-Generated Non-Consensual Intimate Images of Adults.“

